Der klassische Vertriebsweg für Comics war in Deutschland über Jahrzehnte hinweg der Kiosk. Das bot sich für die Hefte und Taschenbücher, aber auch für Alben im Stil eines Asterix und Lucky Luke an, weil hier Auflagen gefahren werden konnten, von denen heutige Comic-Verlage nur noch träumen – und in Relation wurde auch reichlich von dieser Auflage verkauft. An diesem Weg war nicht zu rütteln, er war praktisch in Stein gemeißelt, aber es gab einen Markt, der geradezu darauf wartete, erobert zu werden – auch wenn diesem das vielleicht gar nicht bewusst war: der Buchhandel.

Für die gängigen Verlage wie Bastei, Condor oder Ehapa war der Buchhandel in den 1980er Jahren gar kein erstrebenswertes Ziel. Ihre Produkte waren auf Masse ausgelegt und lebten davon, bundesweit in Kiosken, Supermärkten und Zeitschriftenläden gefunden und gekauft zu werden. Aber bei Carlsen wählte man einen anderen Ansatz, der im Grunde aus der Notwendigkeit heraus geboren worden ist.

Denn die Art, wie Carlsen seine Produkte gestaltete, war nicht dazu angetan, mit Auflagen von mehreren zehntausend Stück an den Kiosk zu gehen. Vielmehr wandte man sich an eine Klientel, die den Comic nicht als Massenware begriff, sondern als Kunstform sah. Entsprechend anspruchsvoller waren die Wünsche dieser Kunden, denen man auch in der Präsentation Rechnung trug.

Man vertrieb die Alben, die sich schon des Handletterings wesentlich von den Kioskprodukten unterschieden, aber auch in einer ganz anderen Preisstruktur beheimatet waren, an den Fachhandel, der damals noch längst nicht so stark vertreten war wie in späteren Jahren. Das allein war aber auch nicht ausreichend. Bei Carlsen wollte man den Buchhandel erobern, entsprechend dem eigenen Anspruch, da man im Grunde nicht nur Comics, sondern graphische Literatur zu offerieren hatte. Sozusagen die Graphic Novel, lange bevor dieser Begriff hierzulande irgendeine Bedeutung hatte.

Der Buchhandel erwies sich aber als wehrhaft, denn einen eigenen Comic-Bereich gab es nicht. Die großen Klassiker, die im Buchhandel tatsächlich zu finden waren, waren andernorts eingereiht: Tim und Struppi bei den Kinderbüchern, Asterix im Bereich Kultur und Werner bei den Cartoons. Die Titel mit der größten Anziehungskraft, die tatsächlich auch im sechsstelligen Bereich verkauften, waren dem Comic also im Grunde flöten gegangen. In den Buchhandel vorzudringen, war darum ein schwieriges Unterfangen, das vor allem von Carlsen betrieben wurde, das damit auch den Boden für alle anderen bereitete.

In den frühen 1980er Jahren war es vor allem der Fachhandel, der sich mit Comics, die sich an ein erwachsenes Publikum richteten, aber nicht pornographischer Natur waren, entfaltete. Dazu kamen die Versuche von Carlsen, im Pressebereich Fuß zu fassen, aber die unter dem Semic-Signet vertriebenen Alben, die populäre Inhalte wie Gaston oder Die Schlümpfe hatten und inhaltlich den Carlsen-Alben entsprachen, aber deutlich günstiger waren, verfingen nicht wirklich.

Um jedoch im Buchhandel präsenter zu werden, bedurfte es nicht nur einer ganzen Reihe von Handelsvertretern, die für Carlsen schon mit den Pixie-Büchern, Petzi und anderen Kinderbüchern die Buchhandlungen abklapperten, sondern auch einiger innovativer Ideen. Denn auch im Buchhandel herrschte ein Motto vor, das für so viele und so vieles im Leben gilt: „Was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht.“

Und nun sollte der Buchhandel endlich Geschmack an hochwertigen Comics erhalten. Die Schlüsselfigur bei Carlsen war hier Klaus M. Mrositzki, der von 1984 bis 1988 für den Verlag tätig war und die Umstellung von halbjährlicher auf monatlicher Novitäten-Belieferung vorantrieb. Erst dadurch hatte der Verlag ein Instrument in der Hand, mit dem man auch dem Buchhandel begegnen konnte, denn dort war man dieses System von den Taschenbuchverlagen gewöhnt.

Allerdings bestand immer noch das Problem, dass Buchhandlungen ganze Nischen für Comics räumen mussten, wenn sie sich denn entschieden, denn sie verpflichteten sich zur Abnahme einer festen Menge von Neuheiten und Katalogtiteln.

Ein wichtiges Element waren hier auch die die Drehständer, die ab 1984 den Händlern angeboten wurden. Sie waren mit Bestellung einer bestimmten Menge von Titeln – 25 Alben aus dem Programm – gratis, kosteten ansonsten aber an die 200 D-Mark. Der Clou an diesen Drehständern war, dass sie nicht sehr platzintensiv waren, aber jede Menge Alben fassen konnten.

Das erlaubte es auch kleineren Läden, in das Geschäft mit den Comics einzusteigen. Zum Ende der 1980er Jahre, als Carlsen der Platzhirsch im Buchhandelsgeschäft mit Comics war, kam es so auch, dass selbst in kleinen Zeitschriften- und Schreibwarenläden in Kleinstädten der Verlag mit seinen Drehständern vertreten war – und so eine ganz neue Klientel, die zu jung war, um Carlsen anderweitig zu kennen, aber nun per Zufall auf die Publikationen traf, angesprochen werden konnte.

Eine Variation dieses Drehständers war später auch die noch heute eingesetzte, recht kultige Carlsen-Rakete, die der Rakete nachempfunden war, mit der Tim und Struppi im Album Reiseziel Mond ihr Abenteuer bestritten.

Dr. Jürgen Hübner, der Mrositzki nachfolgte und von 1989 bis 1995 als Vertriebsleiter für Carlsen tätig war, konnte das sogar noch ausbauen, indem er größeren Buchhandlungen Sägezahnwände anbot, die genau auf die Alben ausgelegt waren und zusätzlich mit dem „Carlsen Comics“-Branding versehen waren.

Von Peter

4 Gedanken zu „Comic-Alben im Buchhandel (Teil 1)“
  1. Lieber Peter, danke für den interessanten Artikel! Hast du zu den Aussagen Quellen für mich, in denen ich noch weiter recherchieren kann?
    Vielen Dank!

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