Phillips hat sich immer für Historie interessiert und in einigen ihrer Geschichten historische Elemente eingebaut. Das ist auch bei Grim so, aber anders, als man erwarten würde. „Die Reaper stammen alle aus unterschiedlichen Zeiten und von unterschiedlichen Orten. Das lässt viel Spielraum für die eigene Kreativität, was die Nebenfiguren betrifft. Jessicas beste Freunde sind ein Metal-Rocker aus den 80er Jahren und ein Franzose aus dem 19. Jahrhundert. Es geht nicht wirklich um die Zeiten, aus denen sie sind, schon aber irgendwie auch um die Unterschiede, die sich dadurch ergeben, nun, da sie alle gezwungen sind, als Handlanger des Todes miteinander zu agieren.“

Es ist darum auch immer wieder interessant, neue Reaper zu sehen. Weil jeder nicht nur eine sehr eigene Persönlichkeit und eine sehr einzigartige Geschichte hat. Auch Jessica hat die, nur erinnert sie sich nicht mehr. Ihr eigener Tod ist ein Mysterium. Das setzt auch die Handlung in Gang, denn erstmals passiert etwas, das kein Reaper je erlebt hat: Jessica kann mit den Lebenden interagieren, sie wird von ihnen gesehen. Das sollte gar nicht möglich sein, aber das treibt sie noch mehr an, mehr über sich und ihre Herkunft herauszufinden.

Phillips hat hier sehr schön eine große Mythologie mit einer kleinen, intimen Geschichte verwoben. Einerseits geht es um das große Ganze, andererseits um die zwei wichtigsten Fragen im Leben. Woher kommen wir? Wohin gehen wir?

Auf beides erhält Jessica eine Antwort. Sie ist nicht gar so überraschend, wie Phillips sich das vielleicht vorgestellt hat, aber die Auflösung funktioniert. Sie ist im Grunde schon häufig erprobt worden.

Phillips arbeitete erstmals mit Flaviano Armentaro zusammen. Der Künstler ist seit über 15 Jahren in der Comic- und Animationsbranche tätig. Er ist Absolvent der Akademie der Schönen Künste in Brera, hat einen Bachelor in Bildhauerei, und lebt und arbeitet in Rom. Er hat für DC und Marvel gearbeitet, aber auch für Dargaud in Frankreich und für Bonelli in Italien – dort illustrierte er Abenteuer von Dylan Dog.

Autorin und Zeichner verstanden sich auf Anhieb gut, auch wenn sie sich persönlich nicht trafen. Schon im Vorfeld des ersten Heftes war die Zusammenarbeit intensiv, weil Flaviano bergeweise Designs für die Figuren und die Welt, in der sie leben, gestalten musste. Phillips war davon beeindruckt, wie ihre Ideen Gestalt annahmen. Überhaupt, wie Flaviano eine neue Vision des Nachlebens erschuf. „Er hat das Nachleben zum Leben erweckt“, meinte sie dann auch.

Auf keinen Fall wollte Phillips ein Nachleben, das klar einer Religion zuzuordnen ist. Vielmehr entwickelte sie ihre eigene Mythologie – von einem Tod, der über allem thront, sich aber nie zeigt, von den Verwaltern, von den Reapern, die die Seelen abholen, und vom Ende, das losgelassen wird, um für das Gleichgewicht aller Dinge zu sorgen, selbst, wenn dafür Abertausende vernichtet werden müssen.

Sie wollte sich ihr eigenes Universum erschaffen, ihre eigene Spielwiese, auf der sie tun und lassen kann, was ihr gefällt. Das Ergebnis ist eine Serie, die es der Autorin erlaubt, sich mit den ganz großen Themen auseinanderzusetzen, ohne Tradition und Religion außenvorzulassen, aber schon so, dass sie ihren eigenen Ideen nachgehen kann, was der Tod wirklich ist. „Für mich ist der Tod beängstigend“, sagt sie, „faszinierend, unergründbar und unausweichlich. Das ist eine Menge, mit der man in dieser Geschichte arbeiten kann, und wir versuchen wirklich, all diese Emotionen darzustellen und uns dabei auch auf schwarzen Humor zu stützen, der für mich eine Art Schutzschild ist, wenn ich schwierige Themen erforsche und diskutiere.“ Da ist sie ihrer Figur Jessica Harrow gar nicht unähnlich …

Von Peter

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