Fans filmischen Horrors werden schon gehört haben, das Ed Gein getan hat. Zumindest kennen sie die Werke, die von seinen Taten inspiriert wurden. Zuerst war es Robert Bloch, der unter dem Eindruck der Verhaftung von Ed Gein seinen Roman Psycho schrieb, dann war es Tobe Hooper, der The Texas Chainsaw Massacre umsetzte. Deutlich obskurer ist Deranged, ein Film aus dem Jahr 1974, der einen fiktiven Namen nutzt, ansonsten aber sehr nahe an der Wahrheit ist. Die Wahrheit über einen mindestens zweifachen Killer, Kannibalen und Leichenschänder.

Die Graphic Novel beginnt mit Psycho und mit Alfred Hitchcock, der einem Interviewer erklärt, was er sagte, als es hieß, dass ein Mann in Los Angeles als dreifacher Frauenmörder verhaftet wurde und er den letzten Mord nach Sichtung des Films beging: „Die Zeitungen wollten von mir einen Kommentar dazu. Ich sagte aber nur: Welchen Film hat er gesehen, bevor er die ersten zwei Morde beging? Nur ein bereits kranker Geist lässt sich von so etwas wie einem Film beeinflussen.

Bei Ed Gein waren es keine filmischen Einflüsse, denen er hätte erliegen können. Er war alles andere als ein Wunschkind. Seine Mutter ließ sich von ihrem Mann überhaupt nur anfassen, weil sie ein kleines Mädchen wollte. Der Vater war ein Alkoholiker und Nichtsnutz, die Mutter ein herrischer Hausdrache. Die streng religiöse Frau hatte die Zügel in der Hand und ließ niemandem in der Familie Raum zum Atmen. Nur Ed blühte unter dieser Frau auf, wenn man das so sagen kann. Sein Vater starb, sein Bruder wurde vielleicht sein erstes Opfer – und dann waren es nur noch Ed und seine Mutter. Bis auch sie starb, er sie aber nicht ziehen lassen wollte und sich in einen Wahn steigerte, der dazu führte, dass er zwei Frauen ermordete.

Schon gehört, was Ed Gein getan hat? wurde von Harold Schechter zusammen mit Eddie Powell geschrieben. Schechter ist ein Spezialist für True-Crime-Bücher. Im Jahr 1987 publizierte nach umfangreicher Recherche Deviant: The Shocking True Story of Ed Gein, the Original „Psycho“. Es ist das Standardwerk über Ed Gein, da Schechter auch noch mit Zeitzeugen des Mannes sprechen und seine Erkenntnisse in das Buch einfließen lassen konnte.

Einen Comic zu schreiben, kam Schechter eigentlich nie in den Sinn. Erst, als Eric Powell sich an Schechters Agenten wandte, dachte er darüber nach. Powell war daran interessiert, das Leben von Ed Gein als Graphic Novel umzusetzen.

Schechter: „Der Übergang vom Sachbuch zum Comic war für mich nicht schwierig, da Eric schließlich den Löwenanteil der Arbeit erledigte. Da wir auf dem Höhepunkt der Pandemie arbeiteten, fand unsere Zusammenarbeit hauptsächlich über Zoom statt. Wir verbrachten viel Zeit damit, Ideen über die Geschichte, die wir erzählen wollten, auszutauschen. Dann schrieb ich einen Rohentwurf in Form eines Drehbuchs. Eric hat ihn stark überarbeitet und ins Comicformat übertragen. Ich ging es durch und machte Vorschläge. Als das endgültige Skript fertig war, übernahm Eric und schuf seine erstaunlichen Bilder.“

Der The Goon-Schöpfer Eric Powell war auf der Suche nach einem neuen Projekt, als er über Ed Gein stolperte. Dessen Leben faszinierte ihn und er wollte eine Graphic Novel über ihn machen. Die Zusammenarbeit mit Harold Schechter verlief hervorragend, nach Fertigstellung des Skripts konnte Powell sich richtig in die Geschichte vergraben. Seine plastischen Schwarzweißzeichnungen fangen Geins Aussehen sehr gut ein. Faszinierend: Selbst bei den Szenen, in denen Ed noch ein Kind ist, wirkt er schon irgendwie alt.

Beide erzählen, ohne ins Plakative zu verfallen. Im Gegenteil, sie zeigen Ed Gein als einen gestörten Mann, der sich nicht einmal seiner sexuellen Identität sicher ist. Wollte er eine Frau sein? Hat er sich deswegen ein Kleid aus Menschenhaut gebastelt und eine Maske, die dazu passt? Der Comic geht dabei durchaus ins Spekulative, wenn die Theorie einer Art kollektiven Erinnerung angesprochen wird, die verdeutlichen soll, dass Ed Gein sich Ritualen bediente, die vor Jahrtausenden stattfanden und tief in jedem sitzen, ohne dass er das wüsste. Das ist etwas weit hergeholt, in der Erklärung annähernd so eigentümlich wie die Diagnose des Arztes am Ende von Psycho.

Aber darüber kann man hinwegsehen. Es ist nur ein winzig kleiner Teil der Graphic Novel. Der weit größere Teil ist absolut faktenbasiert, er greift aber auch zwei Elemente auf, die mit Ed Gein zu tun haben, die weit größere Bedeutung haben.

Einerseits zeigt der Comic sehr effektiv, wie jene aus dem direkten, aber auch ferneren Umfeld von Ed Gein begonnen haben, ihre eigenen Geschichten um ihn herum zu spinnen. Andererseits endet der Comic damit, dass er zeigt, wie Ed Gein die Popkultur beeinflusst hat – von Psycho über The Texas Chainsaw Massacre bis hin zu Das Schweigen der Lämmer.

Dazu meinte Powell: „Ich denke, dass wir unser Buch mit den Auswirkungen, die Gein auf unsere Kultur hatte, abschließen, ist ein wichtiger Punkt, den wir zu vermitteln versuchen. Dass diese winzige Sache – nicht, dass seine Verbrechen winzig waren, sondern dass dieser winzige Flecken Amerikas eine solch massive Wirkung hatte. Wie wirkte sich das auf die Menschen aus, die dort lebten, und dann auf den Rest des Landes? Der kulturelle Effekt, den die Taten dieses Mannes hatten, kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden.“

„Von dem Moment an, als die Geschichte in den späten 1950er Jahren bekannt wurde“, stimmt Schechter zu, „erschien Gein der Öffentlichkeit als ein fleischgewordenes Folklore-Monster – genau die Art von Kreatur, deren unglaubliche Geschichte sich für ständige Nacherzählungen in Filmen usw. eignet. Der Autor Robert Bloch hat ihn in seinem Roman Psycho, den Hitchcock in sein filmisches Meisterwerk verwandelt hat, sofort als Norman Bates neu erfunden. In der Gestalt von Norman revolutionierte Eddie den modernen Horrorfilm und begründete das gesamte Genre der Slasherfilme.“

Mit Schon gehört, was Ed Gein getan hat? (im Original ein bisschen umgangssprachlicher: Did you hear what Eddie Gein done?) muss schon jetzt als eines der Graphic-Novel-Highlights des Jahres gelten. Ein Comic, der tief in die Psyche eines kranken Mannes eintaucht und den Leser auf eine Reise dorthin mitnimmt – ganz ohne Sympathie, aber auch ohne den Mann zu verteufeln. Dieser Comic ist im besten Sinne das, was man als True-Crime-Geschichte versteht. Weil sie authentisch und akribisch ist und fast ohne jedwedes Hinzudichten – die zwei Journalisten sind frei erfunden – davon erzählt, wie zwei Schreckenstaten zuerst Wisconsin, dann die USA und schließlich die Welt erschütterten.

Von Peter

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