Autor J.M. DeMatteis schrieb zu Beginn der 80er Jahre für Marvel „Captain America“. Er arbeitete auf die Jubiläumsnummer 300 hin und wollte danach etwas machen, das es noch nie zuvor im Superhelden-Bereich gegeben hatte. In der Jubliläumsnummer ließ er den Red Skull sterben, was Steve Rogers zum Umdenken bringt. Er denkt darüber nach, dass er wieder und wieder gegen die gleichen Gestalten kämpft, dass er mit Gewalt auf Gewalt reagiert, und kommt zu der Erkenntis, dass es einen anderen Weg geben muss, die Welt zu verändern. Nicht mehr mit Fäusten, sondern mit Worten und Werten sollte Captain America für eine bessere Welt kämpfen.

DeMatteis‘ radikale Neuinterpretation von Captain America wurde von Editor Mark Gruenwald genehmigt, allerdings später wieder eingesackt (auf Drängen des Chefredakteurs, wie DeMatteis vermutete). Dabei wollte DeMatteis in den auf die Nr. 300 folgenden Ausgaben erkunden, wie die Welt auf einen gewandelten Captain America reagiert. Seine Pläne sahen auch vor, dass Steve Rogers von Nomad getötet und ein neuer Captain America – diesmal jedoch ein Native American – auf der Bildfläche erscheint. Die Nr. 300 wurde gewaltig umgeschrieben und verändert. Caps radikaler Sinneswandel blieb aus und DeMatteis beschloss, die Serie zu verlassen.

Die Idee einer Superhelden-Ikone, die nach Jahrzehnten des Kampfs der sinnlosen Prügeleien überdrüssig ist und sich stattdessen mit Verstand und Mitgefühl für eine bessere Welt einsetzt, hat DeMatteis nie losgelassen. Fast 30 Jahre nach seiner ursprünglichen Idee entwickelte er THE LIFE AND TIMES OF SAVIOR 28.

Nachdem Savior 28 seinen Erzgegner Savior 13 besiegt hat, wobei dieser stirbt, verändert sich etwas in ihm. Nach Jahrzehnten des Kampfs schwört Savior 28, der größte Held, den Amerika je gekannt hat, der Gewalt ab. Damit stößt er seine ehemaligen Freunde von der Superior Squad ebenso wie die US-Regierung vor den Kopf. Denn Savior 28 hält nicht nur Reden vor Tausenden, um sie zu überzeugen, dass das Credo seiner verstorbenen Freundin den Weg in ein besseres Leben und eine bessere Welt führen kann: „That which is most needed is a loving heart.“ Savior 28 bricht auch zu einer Tour des Weltfriedens auf und scheut nicht davor zurück, erklärte Feinde der USA und Diktatoren zu besuchen. Er geht eine Allianz mit alten Feinden ein, die die Menschheit oftmals attackiert haben, nun jedoch ebenfalls den Weg des Friedens gehen wollen. Doch eine Welt, in der Gut und Böse nicht klar voneinander getrennt sind, in der Schwarz und Weiß immer mehr verwischen, ist Savior 28 ein gefährlicher Mann, da er den Status Quo bedroht. Eine Bedrohung, die die US-Regierung nicht erlauben kann: Wer nicht mit uns ist, ist gegen uns!

Bei der Konzeption von Savior 28 orientierte sich DeMatteis an den zwei großen Ikonen der Superhelden: Captain America und Superman. Beide verschmelzen zu Savior 28, aber dessen menschliche Identität James Smith ist ein weit fehlbarerer Mann als es Steve Rogers oder Clark Kent jemals waren. James Smith ist eine vielschichtige Figur, jemand, der ein gutes Herz hat, aber auch jemand, der es mit der Wahrheit zugunsten einer guten Geschichte nicht so ernst nimmt. Und jemand, der psychisch die Befreiung eines KZ nicht ertragen konnte. James Smith ist ein Mann mit Schwächen und Stärken, kurz ein (fast) normaler Mensch.

THE LIFE AND TIMES OF SAVIOR 28 ist J.M. DeMatteis wohl beste Superheldengeschichte. Dass es an die 30 Jahre dauerte, sie zu erzählen, erweist sich als Vorteil. Weil DeMatteis selbst gereift ist und sich sein Blick auf die Welt verfeinert hat. So ist diese Geschichte mehr als das, was DeMatteis für Captain America geplant hatte. Diese Story ist viel komplexer, eine Betrachtung dessen, wie Politik und Medien funktionieren, wie das Volk Helden zu Göttern erhebt und sie fallen lässt, wie sich die Welt im Angesicht des Terrors verändert hat und zugleich Angst vor jeglicher Veränderung hat. THE LIFE AND TIMES OF SAVIOR 28 ist relevant, heute mehr denn je. DeMatteis kommentiert, wie er unsere moderne Gesellschaft sieht. Er scheut dabei nicht zurück, Stellung zu beziehen, und das längst nicht nur in Hinblick darauf, dass der Kontrast eines Superhelden und der nicht endenwollenden Gewalt, der er sich bedient, bedenklich ist.

THE LIFE AND TIMES OF SAVIOR 28 ist mehr als nur eine Geschichte um einen Helden, der sich zu verändern versucht, der glaubt, einen neuen Weg gefunden zu haben, die Welt zu einem besseren Ort zu machen, und der doch an der Gleichgültigkeit, vor allem aber auch dem Misstrauen seiner Mitmenschen scheitert. Savior 28 macht etwas, das Superhelden in den Comics eigentlich nie tun. Er verlässt sein Pantheon und steigt hinab in die Welt der Sterblichen, ohne zu erkennen, dass er nicht einer der ihren sein kann. Ideal und Realität prallen hier aufeinander, von Savior 28 und seinem ehemaligen Sidekick Dennis verkörpert. Es ist fast so, als wäre Savior 28 ein moderner Don Quijote. Der Kampf gegen die Windmühlen ist der Einsatz für eine bessere Welt. Savior 28 hält das Ideal hoch, versucht zu überzeugen, besitzt aber keine Lösung. Er hat eine Idee, aber keine Ahnung, wie sie verwirklicht werden kann. Aber sie bedroht die reale Welt der Terrorjahre, in dem die einen die Guten und die anderen die Bösen sind. Savior 28 gegenüber steht die Realität, sein eigener Sancho Pansa, der nach den alten, den immer noch modernen Regeln lebt. Jedes Problem lässt sich mit Gewalt lösen, auch wenn es die eigene Seele kostet.

THE LIFE AND TIMES OF SAVIOR 28 ist mehr als nur eine postmoderne Superhelden-Geschichte. Eine brillante Erzählung, die den Superhelden in der Realität verankert – und ihn seines Gottesstatus enthebt.

Von Peter

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