Im kleinen Örtchen Buckaroo im US-Bundesstaat Oregon wuchsen 16 Serienkiller auf, die dann überall im Land für Angst und Schrecken gesorgt haben. Die extreme Häufung sorgte dafür, dass die Presse die Killer Buckaroo-Bestien taufte. Das ist die Ausgangslage von Joshua Williamsons und Mike Hendersons bemerkenswerter Serie Nailbiter, die vom Schweizer Verlag Skinless Crow publiziert wird. Der gerade erschienene erste Band beinhaltet das erste Drittel der Serie.

Williamsons Idee ist interessant, sie deutet auf ein größeres Geheimnis hin, das das fiktive Städtchen Buckaroo umgibt. Eine Häufung von Serienkillern, die von einem Ort kommen – eine exzellente Idee, die mit der Realität korreliert, wenn auch in weit größerem Maßstab. Knapp 75 Prozent aller bekannten Serienkiller sind Amerikaner.

In Nailbiter wird Buckaroo erst durch seinen jüngsten Serienkiller bekannt: Charles Edward Warren – der Nailbiter. Seine Opfer haben alle an ihren Nägeln gekaut. Er entführte sie, hielt sie gefangen, ließ ihre Nägel nachwachsen und knabberte sie dann runter bis auf die Knochen, bevor er sie tötete. Durch ihn wurde der Fokus der Medien auf Buckaroo gerichtet. Der FBI-Agent Carroll will das Mysterium dieser Stadt lösen. Er glaubt, dem Geheimnis auf die Spur gekommen zu sein, als er seinen Freund, den Verhörspezialisten Nicholas Finch, anruft und ihn bittet, sofort nach Buckaroo zu kommen. Nach Finchs Ankunft ist Carroll jedoch verschwunden.

Finch will zuerst nur seinen Freund finden, dann wird ihm jedoch klar, dass er das Geheimnis von Buckaroo lüften muss. Hilfe erhält er von Sheriff Crane, die einst mit dem Nailbiter zusammen war. Eben jener Killer, der eines skandalösen Freispruchs wegen wieder nach Hause zurückkehren konnte. Als neue Morde geschehen, überschlagen sich die Ereignisse …

Joshua Williamson ging einige Zeit mit der Idee zu der Serie schwanger. Bei der Image Expo im Jahr 2013 legte er dann den Entscheidern des Verlags einen Pitch vor, nachdem er den Auftrag, Nailbiter zu entwickeln, in der Tasche hatte.

„Vor vielen Jahren“, so Williamson, „arbeitete ich noch als Art Director. Eine meine Kolleginnen erzählte mir, dass sie mit ihrem Freund Schluss gemacht hatte. Das überraschte mich, weil sie kurz zuvor noch gesagt hatte, dass alles ziemlich gut zwischen ihnen läuft. Sie erklärte mir dann, dass der Onkel ihres Ex-Freundes verhaftet wurde, weil er fünf Frauen umgebracht hatte. Er war ein Serienkiller. Ich fragte sie also, wieso sie ihren Freund verlassen hatte, der ja wohl nichts mit den Taten seines Onkels zu tun hatte. Und sie antwortete: Ich kann nicht mit jemandem zusammen sein, der dem Bösen so nahesteht. Das habe ich nie vergessen. Man spricht immer über die Familien der Opfer, aber nie über die Familien der Serienkiller. Die Welt, die sie hinterlassen. Eine Familie, die herausfinden muss, dass jemand, den sie liebt, Menschen ermordet hat. Die harte Wahrheit ist, dass das diese Familien zerstört. Das wollte ich in einer Geschichte untersuchen.“

Buckaroo ist als Ort so klein, dass hier fast jeder jeden kennt. Und nicht nur das: Jeder kennt einen der Serienkiller oder ist gar mit ihm verwandt. So wie Raleigh, der Betreiber des Serienkiller-Ladens Murder Store, dessen Großvater die erste Buckaroo-Bestie war. Buckaroo ist eine Stadt mit Vergangenheit, Williamsons eigenes Twin Peaks, das er als Inspiration nennt. Dahingehend, eine Geschichte über eine Stadt zu schreiben, die durch ihre Bewohner und deren Charakterisierung zum Leben erwacht.

„Ich wollte eine Serienkiller-Geschichte aus einem ganz anderen Blickwinkel schreiben. Als ich eines Abends David Finchers Film Zodiac sah, hatte ich die Idee dieser Stadt, in der 16 Serienkiller aufgewachsen sind. Zwei Jahre später entwickelte ich die Idee für den Comic weiter. Das Grundgerüst stand, aber es änderte sich, etwa dann, wenn Mike etwas Tolles gezeichnet hatte und ich mir dachte, dass das ein Aspekt ist, der weiter erkundet werden sollte.“

Williamson stellte die Idee dem Zeichner Mike Henderson vor. Beide hatten zuvor schon die Serie Masks & Mobsters gemacht und kannten sich gut. Sie wussten auch, dass sie gut zusammenarbeiten konnten. Henderson beschrieb es als sehr unaufgeregte Zusammenarbeit. Beide reiben sich nicht aneinander. Sie funken auf derselben Wellenlänge. Williamson meinte gar, Henderson verstehe ihn so gut, dass was, was er aus den Skripten herausholt und auf eine Seite bringt, ziemlich genau dem entspricht, was er sich vorgestellt hat.

Früh war Williamson klar, dass er keine der Metropolen nutzen wollte. In einer Großstadt wäre die Häufung an Serienkillern auch weniger mysteriös gewesen. Er entschied sich für Oregon, weil er selbst in einer kleinen Stadt außerhalb von Portland gelebt hatte und meinte: „Die Stadt verströmte irgendwie ein gruseliges Feeling. Darum erschien mir eine Kleinstadt ideal. Nicht zu vergessen der Regen. Es regnet im Nordwesten sehr viel und ich hatte das Gefühl, dass der Regen selbst schon eine Figur der Geschichte sein könnte. Ein Zeichen dessen, was noch kommt.“

Wie viele Menschen hegt auch Williamson eine Faszination für Serienkiller. Ihn beschäftigte die Frage, die viele umtreibt: Wieso ist jemand so geworden? „Was muss im Leben eines Menschen passieren, damit er zu solch einer Art Monster wird? Ist es ein Ereignis oder sind diese Menschen schon so geboren worden? Das ist Teil dessen, was wir in Nailbiter erkunden.“

Nailbiter liest sich, als hätte jemand Filme wie Das Schweigen der Lämmer oder Sieben als Inspiration genutzt, aber völlig eigene erzählerische Wege gehen. Beide Filme schätzt Williamson auch sehr. Er wollte in seiner Serie eine Verquickung von Crime und Horror, und das auf eine Art, die unter die Haut geht. Mal ist der Comic subtil und lässt den Kopf des Lesers übernehmen, dann wieder plastisch. Williamson schätzt vor allem Ersteres, entschied aber von Szene zu Szene, ob mehr gezeigt werden sollte. Die Geschichte ist dabei ein intensiver Horror-Trip, der aber nicht nur der Monstrosität der Buckaroo-Bestien wegen, sondern auch des sich langsam entfaltenden Mysteriums den Leser richtig packt. Auch die Visualität trägt dazu bei: Der Comic ist ausgesprochen düster.

In den USA erschien Nailbiter von 2014 bis 2017. Es dauerte nicht lange, und die Verfilmungsrechte waren verkauft. Eine Fernsehserie soll entwickelt werden, auch wenn sich da in den letzten Jahren nicht viel getan hat. Aber natürlich bietet sich der Stoff für einen Streaming-Dienst geradezu an.

Drei Jahre nach dem Ende der Serie kehrten Williamson und Henderson zu ihr zurück. Nailbiter Returns wurde von 2020 bis 2021 mit zehn Heften erzählt und beginnt am Tag nach dem Ende der Originalserie.

Von Peter

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