Der Originaltitel ist stärker als der deutsche: THE POWER hat eine zweite Bedeutungsebene, die DIE GABE einfach fehlt. Denn im Kern geht es um Empowerment, um eine Machtverschiebung auf globaler Ebene, mit einer Neudefinition dessen, was das starke Geschlecht ist.

Die Serie basiert auf dem 2016 erschienenen Roman von Naomi Alderman, die auch die Serie entwickelt hat. In den ersten Minuten der ersten Folge erzählt uns eine Stimme, wie sich die Welt verändert hat, wie Frauen zu einer Macht gelangten, die sie zuvor nie hatten. Dann geht man sechs Monate in die Vergangenheit zurück.

Ähnlich der Superhelden-Serie HEROES werden nun die überall auf der Welt verstreuten Hauptfiguren vorgestellt – etwa Jos aus Seattle, Tunde aus Lagos oder Rox aus London. Hauptsächlich sind es junge Frauen, aber auch ein Mann, der als erster das Phänomen einer Frau, die Blitze aus ihren Händen abschießen kann, auf Video bannt. Eines dieser Mädchen ist etwas Besonderes: Allie. Sie unterscheidet sich von den anderen, denn sie hat nicht nur die Kraft, sondern auch eine Stimme, die sie lenkt. Die ihr von der kommenden Revolution erzählt.

Prime Video hat die ersten drei von neun Folgen gleich am Debüt-Tag online gestellt. Eine gute Entscheidung, denn es dauert etwas, bis die Serie in Fahrt kommt. Weil sie sich die Zeit nehmen muss, die vielen verschiedenen Figuren vorzustellen. Die mit der Evolution dieser Mädchen einhergehende gesellschaftliche Veränderung wird da nur angerissen. Wenn gezeigt wird, wie Mädchen mit dieser Kraft in der Schule isoliert werden, wie in anderen Staaten von Inhaftierung oder gar Ermordung solcher Begabten gesprochen wird, aber auch eine Überheblichkeit an den Tag tritt, die zutiefst männlich ist. Doch dieses Selbstverständnis wird erschüttert, weil die Fähigkeit, Stromschläge – auch tödliche – zu verteilen, das Machtverhältnis umkehrt. Etwas, das in den weiteren Folgen sicherlich besonders fokussiert wird.

Die Prämisse ist interessant, auch und gerade in Hinblick auf die Frage, was die Umstände dieser Veränderung sind. Mehr noch, ob sie durch den Klimawandel menschgemacht oder eine natürliche Evolution zur Selbsterhaltung sind. DIE GABE spricht gleich in den ersten Folgen viele verschiedene Themen an und zeigt eine Welt, die wie die unsere anmutet, aber vor einem gewaltigen Umbruch steht.

Es wird spannend zu sehen, wie die verschiedenen Handlungsebenen alle zueinander finden werden. Das war auch der Reiz der ersten (und einzig guten) Staffel von HEROES.

Die jungen Darsteller sind weitestgehend unbekannt, wem Jos-Schauspielerin Auli’i Cravalho bekannt vorkommt, dem sei gesagt: Sie war die Vorlage für VAIANA und hat sie im Film auch gesprochen. Ihre Eltern werden von Toni Collette in einer starken Rolle und John Leguizamo gespielt. Beide kamen zum Zug, nachdem Leslie Mann und Tim Robbins aufgrund der pandemieverursachten Drehstartverzögerung aus dem Projekt ausgestiegen sind. Das könnte aber auch ein Glücksfall sein, ist Collette als Bürgermeisterin und Mutter, die am Ende der dritten Folge auch den Beschwichtigungsversuch der Regierungen dieser Welt – „Es ist alles nur ein Trick“ – durchbricht und darauf aufmerksam macht, dass die Welt nicht mehr ist, wie sie einmal war.

Von Peter

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