Raymond Martin, der einst den Volksverlag gegründet hat und Herausgeber von U-COMIX, SCHWERMETALL, PILOT, VAMPIRELLA, FOTO-COMICS, WITZBOLD, HINZ & KUNZ und COMICS FÜR ERWACHSENE war, hat uns freundlicherweise dieses Interview mit ihm zur Verfügung gestellt. Es entstand für den dritten Band der Sekundärreihe über Richard Corben.

rayRaymond Martin im Mai 2015  Photo: Jutta Hofmann

Nach dem Bär Verlag und Pabel hast Du als einer der ersten in Deutschland schon 1974 begonnen, Comics von Corben herauszugeben. Woher kanntest Du sein Material und wie lief das damals mit den Abdruckrechten und Vorlagen? Schließlich war das abgedruckte Material aus unterschiedlichen Magazinen wie ANOMALY, SKULL COMICS, UP FROM THE DEEP, FEVER DREAMS, FANTAOR und vielen anderen.

Antwort: Bekanntlich bin ich 1953 in Berlin Neukölln in eine eher bildungsferne Familie hineingeboren. In diesen Kreisen stand man den Comic-Heftchen nicht so kritisch gegenüber, wie das Bildungsbürgertum. Ich war früh an allen möglichen Comics interessiert (außer Nick im Weltraum!), Kauka, Disney, Akim, Tibor, Falk etc aber auch an „Illustrierte Klassiker“. Mit der Pubertät verlor ich Interesse daran und wand mich den Mädchen zu. Mit 15 Jahren half ich ein bisschen bei der Entstehung einer unabhängigen Schülerzeitung  (Paradox) und gründete mit 16 eine kleine Zeitschrift für Amateur-Lyrik, -Prosa und –Grafik (ex-libris), mit der ich allerdings nach der zweiten Ausgabe meine erste Pleite hinlegte.

rowlf

Von 1974 bis Januar 1985 hatte Corben eine verlegerische Heimat in Deutschland beim Volksverlag. Rund 600 Seiten sind damals alleine in SCHWERMETALL veröffentlicht worden. Neben MOEBIUS und DRUILLET gehörte er zu DEN Künstlern in Deinem Verlag. Dass er so bekannt wurde, ist meiner Meinung Dein Verdienst, wie auch der Umstand, dass Du als erster erfolgreich auf „Erwachsenencomics“ gesetzt hast, die sich deutlich vom damaligen Material der anderen Verlage wie CARLSEN oder EHAPA absetzten. Wie schätzt Du selbst rückblickend Deine Rolle als Verleger und die Früchte Deiner Tätigkeit für die Comiclandschaft ein?

Inspiriert durch zwischenzeitliche Bekanntschaften mit THC und LSD, gründete ich mit 17 Jahren die Underground-Zeitung PÄNG, die ich bis zur Ausgabe 13 im Jahre 1975 fast komplett allein machte und von den letzten Heften bis zu 7000 Stück verkaufte. (Ohne einen kommerziellen Pressevertrieb!) Die weltweiten Underground- und Alternativ-Zeitungen hatten sich damals zu einer lockeren Organisation zusammengetan, die sich UPS nannte: Underground Press Syndicate. Diese ca. 200 Mitglieder tauschen teilweise regelmäßig und viele Jahre lang gegenseitig die Hefte aus, d.h. ich schickte von jeder Ausgabe je ein Heft an alle und bekam regelmäßig ca. 50 verschiedene Hefte aus USA, Canada, Australien etc. Eines der Prinzipien von UPS war, dass alle Mitglieder alles von den anderen kostenfrei nachdrucken durften. So hatte ich in meiner PÄNG schon 1969 den ersten deutschsprachigen Artikel drin, der das Thema Umweltschutz politisierte: Die Ökologie der Revolution. Wahrscheinlich war damals der Begriff in den deutschen Redaktionen der bürgerlichen Verlage noch völlig unbekannt.

Was ich auch zum ersten Mal durch eben diese US-Undergroundzeitungen kennenlernte, waren Underground-Comix, wie z.B. die FREAK BROTHERS von Gilbert Shelton oder FRITZ THE CAT und MR. NATURAL von Robert Crumb, die ich zum ersten Mal in die deutsche Sprache übersetzte und in PÄNG veröffentlichte. Die Strips kamen bei der Leserschaft so gut an, dass ich 1970 ein eigenes kleines Comic-Magazin mit dem Namen U-COMIX drucken ließ. Es verkaufte sich dreimal schneller als PÄNG und so wurde es zum Beginn meiner Karriere als Comic-Verleger.

In den UPS-Zeitungen, die hier stapelweise herumlagen fand ich dann Anzeigen von

Versendern von Underground-Comix  wie SKULL, FANTAGOR oder ANOMALY, durch die ich mit den frühen Meisterwerken von Richard Corben in Berührung kam. Besonders begeistert war ich von der Kurzgeschichte „When dreams collide“, die meine Vorurteile zu jeder Art von Pfaffen und christlicher Zwangsmoral bestätigte. Diese, sowie andere schwarz-weiße Comics wurden damals einfach übersetzt und nachgedruckt, ohne Verträge oder überhaupt Kontaktaufnahme zum Zeichner. Man war eben Underground.

Ich kann meine Rolle als Verleger und Pionier der Erwachsenencomics schlecht selbst einschätzen, das müssen schon solche Leute wie Du übernehmen. Wenn ich es nicht gemacht hätte, wäre wahrscheinlich irgendwann ein Porno-Verlag oder so darauf gekommen. Mir hat es jedenfalls viel Spaß gemacht, meine Leser zu belustigen oder zu schocken und damit noch richtig gut Geld verdienen zu können. Ohne die ca. 200 Comic-Alben und ebenso vieler Magazin hätte ich niemals mein kleines alternatives und esoterisches Sortiment im Volksverlag finanzieren können.

schwer

Als die Pläne für SCHWERMETALL reiften, bist Du von Leonard Mogel lächelnd abgewimmelt worden. Trotzdem hast Du Dich von Deinem Weg nicht abbringen lassen und über Dionnet einen Vertrag abschließen können. Was hast Du für Erinnerungen an die Vertragsverhandlungen und worin lag der Unterschied zwischen den beiden.

Ich erinnere mich nicht, mit einem Leonard Mogel jemals verhandelt zu haben. Jean-Pierre Dionnet hingegen, der Herausgeber von METAL HURLANT ist mir noch sehr gut in Erinnerung. Er war ein Freak wie ich, kreativ und witzig, intelligent und unangepasst. Wir haben uns auf Anhieb gut verstanden und vertraut. Auf der Frankfurter Buchmesse zeigte er mir mal einen riesigen Stapel Film-Dublicates von Comics-Serien aus seinem Magazin, die er für die Herausgeber des US-Magazins HEAVY METAL hergestellt hatte. Im drauffolgenden Jahr wieder zur Messezeit fragte ich ihn dann, was aus dem Deal mit den Amis geworden ist, worauf er antwortete, sie hätten bis heute nicht einen Pfennig bezahlt. Meine Entrüstung im Sinne von „was sind das nur für Gangster“ beantwortete er ganz cool: „das sehen wir in Europa so, in Amerika nennt man das klevere Geschäftsleute“. Jean-Pierre schrieb mir mal, dass ich mit SCHWERMETALL das „Mutter-Magazin“ überholt habe und meine Produktion besser sei, als das Vorbild. Ich war öfters in Paris in seinem Büro und traf sogar Jean Giraud Möbius persönlich in einem Nebenraum, der gerade neue Original ablieferte. Auch er sprach mir seine Bewunderung dafür aus, dass ich seine Sachen so authentisch veröffentliche, in dem Geist, den er beabsichtigte zu vermitteln.

DEN sollte eigentlich in STAR FANTASY, nach eigenen Verlagsangaben das deutsche „Tochter“-Magazin von HEAY METAL, erscheinen, wo schon die ersten Seiten von 1001 NACHT veröffentlicht worden waren und DEN bereits übersetzt worden sein soll. 1978 hattest Du dann aber die Nase vorn, als DEN im Volksverlag als Album raus kam. Kannst Du erzählen, wie es dazu kam?

Das erste Comic-Album mit farbigen Corben-Episoden konnte ich ebenso wie die beiden DEN-Alben nur produzieren, weil ich mit dem katalanischen Verleger José Toutain befreundet war, der in Barcelona Magazine und Alben druckte. Er bot mir die Mitproduktion von „Die außergewöhnliche Welt des Richard Corben“ als Joint Venture an, d.h. es wurden 20.000 mal alle Farben gedruckt und dann jeweils 5000 mal in schwarz die spanischen, englischen, französischen und deutschen Konturen und Texte. Dadurch kostete das Buch nur eine Mark inkl. Transport in meine Lagerhalle, was bei einer alleinigen deutschen Produktion mindestens viermal so teuer gewesen wäre. Solche Coproduktionen mit anderen Ländern habe ich später des Öfteren gemacht. Ich hatte auch deswegen immer die Nase vor anderen Verlegern, weil mich die Ausländer persönlich sehr sympathisch fanden. Übrigens auch der alter Herr Dargaud von dem gleichnamigen Pariser Verlag (Asterix, PILOT etc). Der fragte seine Auslandsagentin immer wieder mal nach mir: „was macht denn der deutsche Anarchist so?“ In Frankreich war Anarchist in den 70er Jahren kein Schimpfwort.

Mit Michal Hau und Gerhard Förster hast du dir zwei Topleute für das Lettering geholt. Vor allem den Nachdrucken von DEN und ROWLF kam das zugute. Wie konntest du die beiden verpflichten? (Anmerkung: Die Story über Hau wegen Menschenblut kenne ich nur gerüchteweise und wollte gerne mal aus erster Hand hören/lesen)

Weil ich gut bezahlt habe und die Geld gebraucht haben. Menschenblut sagt mir nichts.

Rund 40 Indizierungen aus dem Volksverlagsprogramm (Ich muss die exakte Zahl noch mal recherchieren) – über 200.000.- DM soll der Schaden an Ausfällen und Anwaltskosten betragen haben. Gibst du der Bundesprüfstelle eine Mitverantwortung am Ende des Volksverlags?

Die Summe ist wohl eher fiktiv. Man kann doch niemals voraussagen, wie viele Auflagen man noch hätte verkaufen können, wenn es nicht zur Indizierung und damit zum eingeschränkten Verkauf gekommen wäre. Aber sicher war das ein kleiner Beitrag zum wirtschaftlichen Niedergang des Volksverlages. Hauptsächlich waren es aber viele Produktionen, die mehr Geld gekostet haben, als sie einbrachten, z.B. die Serien PILOT und WITZBOLD. Auch die Magazine SCHWERMETALL und VAMPIRELLA haben sich Mitte der 1980er nicht so richtig bombig verkauft. Was immer am Besten lief, war U-COMIX, das hatte die höchsten Verkaufszahlen.

Ende der 80er bist du als „Raymond Martin Verlag“ noch einmal kurz mit Corben-Büchern auf den Markt getreten. Welche Gründe gab es dafür, dass die Episode so kurz war.

Ich hatte zuwenig Kapital, um Material für mehr gute Produktionen zu kaufen. Der Comic Verkauf wurde immer schwieriger und ich habe mich mehr dem Merchandising und Textilien zugewandt, weil es spannend war, mal was Neues zu machen. Dieser Markt ist hundert mal größer, als der Comic Markt.

Ein abschließender Rückblick auf die Wirkungen von UPN/Volksverlag auf die, die nach dir kamen…

Mein Volksverlag, das Marketing, die Produkte hatten alle eine Art nonkonformer Handschrift. Alles wurde von mir getextet, gestaltet und geformt. Allein die Zusammenstellung des Verlagsprogramms (von Esoterik bis Sex-Comics) hatte einen eigenartigen Charakter,den kein Verlag vorher oder hinterher erreichte. Auch waren die von anderen Verlagen weitergeführten Magazine nicht mehr das, was sie mal ausgemacht hatten. Was auch damit zu tun hatte, dass den Genies aus USA und Frankreich nicht mehr so tolle Sachen einfielen im Alter. Und die neuen Comics haben einfach nicht mehr den Flair gehabt, siehe Corben.

den

Gerade bei zwei Corben Geschichten ist mir aufgefallen, dass diese in Deinen Vorworten besonders viel Kritik abbekamen: Einmal war es DEN II, zum anderen hast Du JEREMY BROOD geradezu in der Luft zerrissen, obwohl Corben sonst von Dir außerordentlich viel Lob bekam. Gerade bei der letzten Geschichte warst Du am Anfang noch ganz begeistert.

Zuerst war ich von den Inhalten, später auch von den Formen und Farben der Corben-Comics begeistert. Meine Kritik zu DEN 2 bezog sich auf den Inhalt, weil ihm eben einfach nichts mehr einfiel, er hatte sein Schema und musste halt irgendwas liefern, weil der Markt danach fragte. Bei JEREMY BROOD turnte mich auch noch die Form ab, die Zeichnungen wirkten hingeschludert, die Farbgebung war wahrscheinlich von Angestellten oder sogar schon Computern gemacht. Überhaupt sind die meisten Comic-Zeichner, die mich früher begeistert haben, immer schlechter geworden. Seitdem alles nur noch am Bildschirm gefertigt wird, kann ich mit Comics gar nichts mehr anfangen.

Mit MUTANTEN WELT, ROWLF und DIE AUSSERGEWÖHNLICHE WELT DES RICHARD CORBEN wurden alleine drei Titel von Corben von der Bundesprüfstelle indiziert.  Die hatten sich richtig auf Deine Comics eingeschossen. Setzt man sich mit den Beschlüssen auseinander, so sind diese extrem schwach und zeugen von Unkenntnis und Ignoranz was Comics und Käuferschichten angeht. Wie schwer hat Dich der Dauerbeschuss aus Bonn wirtschaftlich getroffen?

Eine Zeit lang war mein Volksverlag der am meisten indizierte Verlag von ganz BRD. Welche wirtschaftlichen Folgen das hatte, kann man schwer bemessen. Vielleicht wäre bei dem einen oder anderen Buch eine weitere Auflage drin gewesen, wenn es nicht auf der Liste gelandet wäre. Viel mehr Verluste hatte ich durch die Diebstähle meiner Angestellten und Mitarbeiter. Einer hat sich einen Nachschlüssel von dem Lagertor machen lassen und dann kam nachts ein LKW  und sortierte ich palettenweise Comic-Alben ab. Soweit ich gehört habe, sollen es Gangster aus Frankfurt gewesen sein, die das dann vermarktet haben. Meinem Nachfolger Alpha-Verlag ging es ähnlich. Da kamen die Diebe aus dem Raum Stuttgart und haben sogar den Gabelstapler gleich mit geklaut. In beiden Fällen wurden niemals die Täter ermittelt und wir blieben auf den hohen Verlusten sitzen. Da ich aber eher ein geistiger als ein materieller Mensch bin, gräme ich mich deswegen nicht, sondern nehme es mit dem Geheimrat von Goethe:

„Auch das ist Kunst, ist Gottes Gabe,

aus ein paar sommerhellen Tagen,

sich soviel Licht ins Herz zu tragen,

dass, wenn der Sommer längst verweht,

das Leuchten immer noch besteht.“

 

Von Peter

5 Gedanken zu „Raymond Martin über seinen Werdegang und wie die Erwachsenen-Comics nach Deutschland kamen“
  1. Vielen Dank, dass ich das Interview mit Raymond führen durfte, und er sehr aufgeschlossen und umfassend die Fragen beantwortet hat.
    Schade, dass hier im Blog keine Quellenagabe zu lesen ist.
    „Peter“ hat das Interview jedenfalls nicht geführt.
    Viele Grüße
    Sebastian

    1. Haben wir auch nicht behauptet. Zitat: „hat uns freundlicherweise dieses Interview mit ihm zur Verfügung gestellt“

      Ergo: Hat uns Raymond gegeben (und anderen Websites auch). Wer die Fragen stellte, wurde dabei nie erwähnt. Du solltest dich also bei deinem Interviewpartner beschweren.

    2. Ihr seid für die Inhalte hier verantwortlich und nicht Raymond.
      Stellt bitte entweder eine Quellenangabe dazu, oder löscht das Interview.

    3. Raymond hat uns dieses Interview gegeben und die Auflagen dafür waren, es unverändert zu bringen und das von ihm autorisierte Foto zu zeigen.

      Da können wir zurecht davon ausgehen, dass eben alles seine Ordnung hat. Wir können dich aber auch gerne nennen, dann teil uns aber bitte auch deinen vollen Namen und einen Link, falls du den willst, mit. „Quelle: Sebastian“ bringt’s ja eher nicht.

    4. Hallo, Sebastian! Ich würde gerne Raymond Martin aufstöbern. Er hat 1971 mit mir in der Kommune Kucha gewohnt. Wir haben in den Jahrzehnten seitdem keinen Kontakt gehabt und ich wüsste gerne, wie ich ihn erreiche. Bernd

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert