Kriegscomics gibt es schon seit langer Zeit. Sie waren nie die populärsten Comics, die der US-Markt hergab, aber ein paar Serien haben sich über die Jahrzehnte durchaus gehalten und vor allem DC hatte in den 70er Jahren einige Titel wie UNKNOWN SOLDIER, die über viele Jahre hinweg liefen. Keine Serie erreichte jedoch – weder damals noch heute – den Standard, den Marvel mit THE ‚NAM setzte.

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THE ‚NAM ist eine Serie, die im Dezember 1986 gestartet wurde. Für den Superheldenverleger Marvel ist sie außergewöhnlich ungewöhnlich, aber der damalige Verleger Jim Shooter wollte mit verschiedenen Stoffen experimentieren. Und er hatte die Idee, es mit einem Comic über den Vietnamkrieg zu probieren. Den Auftrag, diese Idee umzusetzen, erhielt Autor Larry Hama, selbst ein Veteran, der sich mit Autor Doug Murray kurzschloss. Murray hatte bereits für den Magazintitel SAVAGE TALES ein paar Vietnam-Geschichten verfasst. Und nun sollte er die Geschicke von THE ‚NAM leiten.

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Doug Murray entwickelte ein Konzept, das auch abgesegnet wurde. Er wollte etwas Ungewöhnliches erschaffen. Und das tat er auch. Nach seiner Vorstellung sollte jedes Heft einen Monat darstellen. Man begann im Jahr 1966 und würde sich konsequent bis zum Ende des Krieges vorarbeiten. Mit den verstreichenden Monaten wollte er auch illustrieren, wie die GIs, die in-country waren, die Tage zählten. Dem Konzept ist es natürlich auch geschuldet, dass es kein Figurenensemble gibt, das vom Anfang der Serie bis zum Ende dabei ist, denn nach zwölf Monaten ging es für die Soldaten nach Hause – wenn sie später nicht eine zweite Tour absolvierten. In den ersten zwölf Heften steht der junge Soldat Edward Marks im Mittelpunkt. Er ist einer der FNGs, der Fucking New Guys, auch wenn Murray das Akronym nicht aufschlüsselt, denn angesichts des Comics Code war das Fuck-Wort natürlich verboten. Marks hätte nach Murrays Planung später als Kriegsberichterstatter zurückkehren sollen, doch dazu kam es nicht. Auch bemerkenswert: Hauptfiguren sterben. Wie im echten Leben ist niemand vor dem Tod gefeit.

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Murray wollte aber auf jeden Fall, dass THE ‚NAM vom Comics Code abgesegnet sein sollte, denn er hoffte auf junge Leser, denen er so zeigen konnte, wie der Krieg damals wirklich war. Und das ist auch die immense Stärke der Serie, denn anhand von großen bekannten Ereignissen wie der Tet-Offensive, aber auch kleinen persönlichen Geschichten gibt Murray eine Darstellung des Vietnam-Krieges wieder, wie sie auch in anderen Medien kaum derart umfangreich und komplex möglich war. Er benutzt dabei sehr viel spezifische Lingo, die die Soldaten jener Tage auch nutzten. Und da man die als Leser natürlich kaum kennt, gibt es am Ende des Heftes auch einen Glossar, der erklärt, welcher Begriff was bedeutet.

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Obschon sich die Serie anfangs der Drogenthematik entzog, wurde später auch darauf eingegangen. Darüber hinaus behandelt die Serie auch das Problem des Rassismus in den eigenen Truppen, die „Entsorgung“ gefährlicher Vorgesetzter durch die gezielte Platzierung einer Granate auf der Latrine, den Krieg an der Heimatfront und mehr, das immer durch eines ausgezeichnet ist: Realismus. Deswegen wirft Murray auch immer wieder mal einen Blick auf den Feind und zeigt, dass der letzten Endes auch nicht anders als man selbst ist.

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Obwohl Murray dachte, dass THE ‚NAM vielleicht gerade mal zwölf Hefte überleben würde, entwickelte es sich zum Erfolg. Er traf den Geschmack des Lesers und lockte auch viele Veteranen an, wie sich auf den Leserbriefseiten zeigt. 45 Hefte lang schrieb Doug Murray THE ‚NAM, dann jedoch verließ er die Serie, weil die Chefredaktion Veränderungen forderte, die er nicht bereit war zu machen. So sollte das Ganze etwas weniger realistisch und leichter zugänglich werden. Und Marvels erfolgreichen Anti-Helden, den Punisher Frank Castle, wollte man ebenfalls in der Serie sehen. Der machte seinen Gastauftritt in den Nummern 52 und 53, als Murray schon längst weg war. In der Folge wechselten die Autoren häufig. Umso erstaunlicher ist, dass die Serie dennoch einiges an Niveau behielt, auch wenn der Ansatz, dass ein Heft einem Monat entspricht, über Bord ging.

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THE ‚NAM brachte es auf 84 Hefte und wurde im September 1993 eingestellt. Bis heute ist sie eine der am besten geschriebenen Serien, die der US-Comic-Markt je hervorgebracht hat. Sie brilliert durch Menschlichkeit und Realismus und erzählt dabei sehr ungeschönt vom Leben und Sterben in einem fernen Land. THE ‚NAM interessiert sich weniger für die große Politik hinter dem Vietnam-Krieg. Die Serie blickt stattdessen auf den kleinen Mann, den FNG, der einfach nur seine zwölf Monate überleben und die grüne Hölle verlassen will.

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Von 1987 bis 1988 gab es drei Tradepaperbacks mit Reprints der ersten zwölf Hefte. In Deutschland erschien beim Splitter Verlag ein einzelnes Album mit den ersten beiden Heften. Ein umfassender Reprint liegt noch immer nicht vor, aber Marvel hat in den letzten Jahren drei neue Trades publiziert, die jeweils mehr als 200 Seiten umfassen. Der letzte Band ist hier leider auch schon vor langer Zeit erschienen – im Jahr 2011.

Von Peter

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